Mercedes 170 S
Der im Mai 1949 dem Publikum vorgestellte Mercedes 170 S war der erste repräsentative Luxuswagen nach dem Krieg. Wie etliche andere Fahrzeuge dieser Zeit, so war auch der 170 S keine Neuentwicklung. Bei der Konzeption griff man vielmehr auf den Mercedes 230 des Jahres 1938 zurück, dessen Karosserie und technische Einzelheiten man weitgehend übernommen hatte. Eine Ausnahme bildete der 2,3-Liter 6-Zylinder Motor (55 PS), der auf ein 1,8-Liter 4-Zylinder-Aggregat (52 PS) abgespeckt wurde. Dies war der Nachkriegszeit mit ihren wirtschaftlichen Einschränkungen zu verdanken.
Der 170 S ist nicht mit dem 170 V oder dem 170 D zu verwechseln, der über eine zwar ähnliche, jedoch etwas kleinere Karosserie verfügt, schlichter ausgestattet und mit einem schwächeren Motor versehen ist. Seinen einzigen ebenbürtigen Konkurrenten fand der 170 S im Opel Kapitän, dessen 2,5-Liter 6-Zylinder Maschine etwas mehr Leistung brachte (55 PS). Hinsichtlich Verarbeitung und Technik konnte der Opel vielleicht nicht ganz mithalten. Eine Kaufentscheidung war womöglich eine reine Sympathie-, aber auch eine Prestigefrage. Immerhin war der "Gute Stern aus Stuttgart" seit 1951 offizieller Lieferant der Staatskarosse.
Mit einem Listenpreis von rund 10.000 DM war der 170 S etwa halb so teuer wie ein Einfamilienhaus und selbst für Gutverdiener absolut unerschwinglich. Ein Landarzt wagte vielleicht an die Anschaffung eines Volkswagens zu denken, einen 170 S konnte er nicht ansatzweise in Betracht ziehen. Die Käuferschicht dürfte sich aus Industriellen sowie Film- und Bühnenstars zusammengesetzt haben. Nicht umsonst hatte das Auto den Nimbus eines "Direktionswagens".
Im Innenraum erwartet den Lenker viel edles Holz, mit denen die Fensterschüsseln der vier Türen und die gesamte Frontfensterpartie üppig versehen sind. Die Instrumente, zu denen neben Tachometer auch Öldruck- und Wassertemperaturmesser gehören und sogar eine Tankuhr, blicken einen in ihrem Chromkleid ebenso an wie die zahlreichen Bedienknöpfe für Choke, Heizung und Lüftung sowie Straßen-, Innen- und Armaturenbeleuchtung. Wer damals zusätzliches Geld investieren wollte, konnte sich eine mollige Heizung (140 DM), ein Autoradio entweder von Becker, Typ "Solitude" (410 DM), wie hier, oder von Siemens & Halske, Typ "Autosuper" (490 DM), oder eine verchromte Metallspinne gönnen, mit der das Reserverad außen auf Stoßstange und Kofferraumhaube befestigt werden konnte. Damit vergrößert sich der Gepäckraum nicht unerheblich. Auch ein Faltschiebedach war erhältlich, und, ganz exklusiv: ein paßgenauer Koffersatz.
Der Kaltstart des Mercedes benötigt etwas Zeit. Handbremse anziehen, Gang rausnehmen, Zündung einschalten, Starterklappe ziehen, die zusätzlich installierte Benzinpumpe einschalten bis sich genügend Sprit im Vergaser angesammelt hat: erst dann kann das Anlasserpedal (oberhalb des Gaspedals) für bis zu 20 Sekunden mit dem vorderen Fußbereich gedrückt werden, währenddessen sich der Anlasser mit äußerster Gemächlichkeit dreht. Mit der Ferse wird dann beim Anspringen etwas Gas gegeben. So startet er bei Temperaturen über null Grad immer. Ist es deutlich kälter, dann weist die Bedienungsanleitung freundlich und zugleich tröstend darauf hin, daß ein Start nicht ohne weiteres möglich sei. Beim Warmstart geht's schneller, dann kann auf Benzinpumpe und Choke verzichtet werden.
Zum Wohlfühlen in dem hervorragend gefederten, komfortablen Reisewagen tragen im Wesentlichen Sitze mit angenehm hoher Position bei, die Chauffeur und Passagiere an Wohnzimmerfauteuils erinnern, sowie Trapezlenker-Vorderachse und Pendel-Hinterachse. Obwohl Innen- und Motorraum ohne jede Dämmung lediglich durch den sogenannten Spritzschutz getrennt sind, hält sich die Geräuschentwicklung des Motors bei mäßigen Geschwindigkeiten in Grenzen. Der Fahrgast wird akustisch von einem angenehmen Surren begleitet, das sich erst jenseits der 80 deutlich steigert. Dazu gesellt sich das Singen des Getriebes in den unteren Gängen.
Ein Vergleich des Fahrverhaltens freilich mit modernen Automobilen ist nicht statthaft. Der Geradeauslauf ist bescheiden und erfordert permanente Korrektur mit dem großen Lenkrad. Wenn Hans Albers in "Nachts auf den Straßen" seinen MAN-Laster bei kerzengerader Autobahnstrecke ständig mit dem Steuer nachjustiert, so hat das durchaus Berechtigung. In leichten bis mittleren Kurven ist Vorsicht geboten! Sie können nicht gefahrlos elegant angeschnitten werden, denn die Seitenneigung des Wagens ist nicht unerheblich. Die hydraulischen Trommelbremsen arbeiten gut und sicher, sind aber von heutiger ABS-Technik weit entfernt.
Fahrt mit dem 170 S - ein Video
Fertigstellung voraussichtlich im Frühjahr / Sommer 2024
Der 170 S in zeitgenössischen Schnappschüssen
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Im Regelfall ist der Mercedes 170 S (1949-1952), die beiden Cabrio-Modelle 170 S Typ A bzw. Typ B (1949-1951) sowie die Nachfolgemodelle 170 Sb (1952-1953), 170 DS (1952-1953) und 170 S-V bzw. 170 S-D (1953-1955) zu sehen. Allen diesen Modellen ist bei unterschiedlicher Motorisierung und Ausstattung die gleiche Karosserieform gemein.
Urlaubsfahrt in die Berge, genauer gesagt in den Engadin. Im Hintergrund ist das Maloja Palace Hotel am Silsersee zu sehen. Man war aus der britischen Zone angereist: N für Niedersachen, 110 für Braunschweig-Stadt.
Am Neckar bei Heidelberg, September 1952. Zugelassen in der amerikanischen Zone, gerade noch erkennbar am A links auf der Nummerntafel. Der darunter liegende Buchstabe für das Bundesland ist nicht sichtbar. Entweder AB für Bayern, AH für Hessen oder AW für Württemberg-Baden.
März 1960: Der Herr dürfte kaum der Erstbesitzer sein, mit Sicherheit der zweite oder gar der dritte. Der Wagen hat seine Rolle als "Direktionsfahrzeug" eingebüßt. Am rechten Bildrand zur Hälfte noch sichtbar ein Opel Olympia Rekord.
Bad Reichenhall, Rathausplatz, zweite Hälfte der fünfziger Jahre. Der Wagen trägt bereits das neue weiße, 1956 eingeführte Nummernschild, zugelassen im Landkreis Rosenheim (RO).
Auf einer Hebebühne in einem Hinterhof zu Beginn der 1950er Jahre. Zugelassen in der amerikanischen Zone, B für Bayern, 47 für München-Stadt.
Frankfurt am Main, Hauptwache, April 1956
Der Karlsruher Hauptbahnhof hat den Luft-krieg unbeschadet überstanden. Vorne zwei Taxis, erkennbar an den weißen Streifen. Rechts neben dem 170 S wartet ein Opel Kapitän '50 auf Kundschaft. Beide Wagen sind in der amerikanischen Zone zugelassen, AW für Württemberg-Baden, 60 für Karlsruhe-Stadt.
Die nächsten beiden Bilder zeigen zwei Herren mit ihrem 170 S auf einer Landstraße. Zugelassen in der amerikanischen Zone, H für Hessen, 70 für Frankfurt am Main-Stadt.
Hameln, Bäckerstraße, um 1959. Der 170 S war ebendort, im Landkreis Hameln, zugelassen (HM). Auf der rechten Straßenseite ein Opel Rekord P 1 CarAVan, der von 1958 bis 1960 gebaut wurde. Dahinter ein Renault Dauphine, gefolgt von zwei DKW-Lieferwagen "Schnellaster", einem Volkswagen und einem Opel Kapitän '56.
Zugelassen in der britischen Zone, BH 40 für Hamburg-Stadt. Der Chauffeur wartet mit seiner Dienstmütze vor der herrschaftlichen Villa.
Nächtliche Heimfahrt eines Mercedes 220 bei Nieselregen.
Zugelassen in der britischen Zone, BH 33 ebenfalls für Hamburg-Stadt. Frisch vermählt Anfang / Mitte der 1950er Jahre. Das Foto wurde in der eisigen Jahreszeit geschossen, denn das Kühlergitter des Wagens ist mit einem Kälteschutz verkleidet.
Freudenstadt im Schwarzwald, Marktplatz. Das völlig kriegszerstörte Städtchen war bereits Mitte der 1950er Jahre wieder aufgebaut. Hinter dem 170 S der 1953 neu herausgebrachte 180 mit moderner selbst-tragender Ponton-Karosserie.
Vor dem Rathaus Berlin-Schmargendorf, Ecke Berkaer Straße / Auguste-Viktoria-Straße, im britischen Sektor. Im Gegensatz zu Westdeutschland hatten die Westsektoren von Berlin bis 1956 weiße Kennzeichen mit schwarzer Schrift. KB stand für "Kommandantur Berlin", gefolgt von zwei dreistelligen Zifferblöcken. - Man möchte kaum glauben, daß der junge Mann mit der modischen Freizeitjacke den Wagen selbst erarbeitet hat. Vielleicht Sohn eines Industriellen oder ein Leinwandstar?
Winterfreuden im Klein-Walsertal, 1958. Der Mercedes 170 S ist im Landkreis Ravensburg zugelassen (RV). Dahinter ein Opel Rekord P 1 aus Stuttgart (S). Der Volkswagen ist hinten mit Schneeketten versehen.
Zugelassen in der britischen Zone, BH 36 wiederum für Hamburg-Stadt. Interessant: Der Wagen ist mit einem weißen Lenkrad ausgestattet, der Kühlergrill ist in zweifarbi-gem Muster gehalten.
Aurich in Ostfriesland: eine Familie und bereits vier Autos! Oben im August 1971 und unten im April 1972. Der 170 S-V ist in Aurich zugelassen, die anderen drei Fahrzeuge sind in Berlin angemeldet: ein Volvo PV 544, ein Volvo Amazon sowie ein "Post-VW", wie auf der Rückseite des Fotos vermerkt ist, also ein ausgemusterter Volkswagen der Bundespost. Vielleicht studierten die drei Jungs in Berlin. Die Studentenrevolution jedenfalls hat die Haarpracht deutlich wachsen lassen.
Ein 170 S Cabrio B, also die fünfsitzige Version. Davon wurden von Mai 1949 bis November 1951 nur knapp über 1.600 Exemplare gebaut. Prozentual haben davon bis zum heutigen Tag mehr überlebt als von der Limousine. So ein schönes Auto hat man nicht einfach verschrottet. Hier vor der "Weinstube zur Post" in Bernkastel an der Mosel. Zugelassen in der britischen Zone, R für Rheinland, 547 für Euskirchen-Land. Davor parkend ein Mercedes 170 V oder D sowie ein Volkswagen.
Zugelassen in Westberlin, KB für Kommandantur Berlin. Hinten ist ein Ford Taunus G73A ("Buckel-Taunus") sichtbar, der von 1948 bis 1952 hergestellt wurde.
Ein 170 S Cabrio B beim Umzug der Hubertusgilde in Kücknitz bei Lübeck, 1955. Zugelassen in der britischen Zone, BS für Schleswig-Holstein, 61 für Lübeck-Stadt. Dahinter ein Goliath GP 700 Kombi.
Und am Wochenende ab ins Grüne! Zugelassen in der amerikanischen Zone, AB für Bayern, 362 für Landshut-Stadt.
Ein 170 S mit Faltdach in der Hauptstraße von Herborn Anfang der 1960er Jahre. Zugelassen im Landkreis Wetzlar (WZ), zu dem Herborn gehörte. Im Hintergrund das Rathaus des Städtchens. In der Straße sind noch zwei Volkswagen sowie eine BMW-Isetta zu erkennen.
Ein typisches Sammlerbild, wie es seinerzeit Zigarettenpackungen beigelegen hat. In den Tabakwarengeschäften waren die dazu passenden, mit Text ausgestatteten Alben zum Einkleben erhältlich. - Das Bild zeigt einen 170 S (Modell 1951) in schickem Weinrot, zugelassen in der französischen Zone, FW für Süd-Württemberg / Hohen-zollern, 36 für Reutlingen.
Eine Fahrt zu den Vogtsbauernhöfen im Gutachtal unterhalb von Hornberg im Schwarzwald.
Ende der 1950er Jahre: Ein 170 S Cabrio B, zugelassen mit dem
neuen Kfz-Kennzeichen im Kreis Braunschweig.